Mit unserer Juliklimawache wollten wir den Fokus einmal auf die Menschen und Regionen lenken die am meisten von der Klimakatastrophe betroffen sind. Denn auch wenn wir in Deutschland die Auswirkungen spüren, leidet der globale Süden schon jetzt sehr viel stärker unter den Folgen als wir das gemeinhin mitbekommen, denn in unseren Nachrichten und in der Presse findet das Thema neben der „großen Politik“ vergleichsweise wenig Beachtung.
Gleichzeitig wird die Klimakatastrophe immer mehr zur Fluchtursache für Menschen die ihre Heimat verlassen, weil Lebensräume zerstört werden und Zukunftsperspektiven fehlen.
Als erster Gast zu diesem Thema war Dr. Alisher Mirzabaev vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Uni Bonn (ZEF) bei uns. Er hat als koordinierender Lead-Author des Kapitel 3 “Desertification” am IPCC-Sonderbericht “Klimawandel und Landsysteme” mitgearbeitet. Dies ist der bisher umfassendste Report zu diesem Themenbereich und er befasst sich im Groben damit wie die Klimakatastrophe die Landflächen verändert und umgekehrt.
Schon jetzt ca. 3 Milliarden Menschen betroffen
Wir nutzen 75% der gesamten weltweit verfügbaren Landfläche z.B. für Nahrungsmittelproduktion und Besiedlung. Das tun wir so intensiv und wenig nachhaltig, dass bereits rund ein Viertel der Landfläche unnutzbar geworden ist und davon sind bereits jetzt rund 3 von 7,5 Milliarden Menschen betroffen. Was auf den Landflächen passiert betrifft auch das Klima. Durch Abholzung, Verwüstung und intensive Agrarnutzung entstehen 25-30% der weltweiten Treibhausgasemissionen. Auf der anderen Seite nehmen die Landflächen durch Pflanzenwachstum auch CO2 in großen Mengen auf, d.h. die Landflächen können genauso ein Teil der Lösung des Treibhausgasproblems sein.
Der IPCC-Report enthält eine lange Liste von, häufig bereits wohlbekannten Maßnahmen die bei der Lösung oder zumindest der Abschwächung von Klimawandeleffekten helfen und gleichzeitig unsere Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können. Wir wissen also wie wir die Klimakatastrophe bekämpfen können, aber die Maßnahmen werden derzeit in viel zu kleinem Umfang angewendet.
Verschiedene Auswirkungen in den Ländern
Die Auswirkungen der Klimakatastrophe auf die Landflächen verschiedener Länder sind unterschiedlich. Einige Länder denken, dass sie noch nicht von der Klimakatastrophe betroffen sind, aber wenn man genauer auf die ländlichen Gebiete schaut sieht man, dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt. Die Erzeuger:Innen landwirtschaftlicher Produkte, vor allem in Afrika, sind bereits jetzt durch Einkommensverluste infolge Ertragsminderungen der Ernten aber auch Problemen bei der Viehzucht stark betroffen. Dort versucht man natürlich diesen Effekten durch Anbau anderer Pflanzen und mehr Vielfalt entgegen zu wirken, aber der Wandel vollzieht sich in einem solch hohen Tempo, dass die Umstellung der Landwirtschaft kaum Schritt halten kann.
In anderen Ländern, speziell in Zentralasien und Russland, gibt es in den Regierungen immer noch viele Klimawandelskeptiker:Innen, die notwendige Entwicklungen behindern, obwohl die Nachrichten dort häufig über Überschwemmungen und Waldbrände berichten. Häufig sind diese Länder nämlich vom Export fossiler Brennstoffe wirtschaftlich abhängig. Gleichzeitig werden Aktivist:Innen und Protestbewegungen klein gehalten, weil freie Meinungsäußerung unterdrückt oder zumindest stark erschwert werden kann.
Hitzewellen betreffen die Bewohner:Innen in den Städten des globalen Südens und verursachen dort gesundheitliche Probleme. Die Hitze begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten wie Malaria, und bedroht gleichzeitig ältere Menschen. Genauso können sich die armen Bevölkerungsschichten Maßnahmen zur Hitzeabwehr (Klimaanlage, bauliche Veränderungen, etc.) schlicht nicht leisten. Ebenso sinkt infolge steigender Temperaturen die Arbeitsproduktivität, was wiederum zu weniger Einkommen führt.
Faire Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Partnern?
Wir haben auch die Frage gestellt wie groß das Gewicht von Entwicklungsländern in internationalen Meetings oder Verhandlungen zur Klimakatastrophe ist. Handelt es sich dabei um Gespräche und Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Partner:Innen? Die Auskunft von Dr. Mizarbaev war so simpel wie ernüchternd: da es sich viele ärmere Länder nicht leisten können größere Delegationen zu internationalen Verhandlungen und Meetings zu schicken, können die Entsandten oft nicht voll umfänglich an allen Gesprächs- und Verhandlungsrunden teilnehmen. Weil verschiedene Themen in parallelen Sessions behandelt werden, diese oft den ganzen Tag dauern, und sich auch gerne bis tief in die Nacht fortsetzen, fehlt es oft schlicht an der Möglichkeit sich abzuwechseln. So entsteht den ärmeren Ländern ein ganz konkreter Nachteil.
Wer schreibt den IPCC-Report?
Beim neuesten IPCC-Report zu Klimawandel und Landflächen stammten, anders als bei den Vorgängern, mehr als die Hälfte der Hauptautor:Innen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Auch waren dieses Mal mehr Frauen als Männer beteiligt, was zu einer größeren Themenvielfalt und zu einer Verschiebung der Perspektive geführt hat. So stellen beispielsweise Frauen in vielen Entwicklungsländern den Mehrheitsanteil bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, sie dürfen aber aus verschiedenen Gründen selber kein Land besitzen.
Durch den größeren Anteil an Sozialwissenschaftler:Innen bei der Erstellung des IPCC Reports wurde auch ein anderer Aspekt von Klimagerechtigkeit deutlich: Die Klimakatastrophe betrifft nicht nur ärmere Länder stärker als reiche Länder. In allen Ländern betrifft er ärme Menschen mehr als reiche, da diese sich nicht von den Effekten der Klimakatastrophe „freikaufen“ können, weil sie sich teurere Lebensmittel, eine klimatisierte Wohnung oder einen Umzug in kühlere Regionen leisten können.
Wer einigermaßen Englisch versteht und mehr über den IPCC-Report erfahren möchte, findet in diesem Video einen gutem Überblick über die Inhalte.
Die Situation der Fulani in Westafrika
Usman Shehu, Journalist bei der Deutschen Welle aus Nigeria und Gründer von KRI („Koode Radio International – for Fulani-speaking people“) dem ersten Radiosender der in dieser Sprache sendet, berichtete uns von den Fulani, einer Volksgruppe mit ca. 17 Millionen Menschen, die in vielen Ländern Afrikas von Marokko bis zum Sudan, aber haupsächlich in Westafrika leben. Die Fulani besitzen selber meist kein Land. Sie sind Nomad:Innen, die ihr Vieh übers Land treiben um es an verschiedenen Stellen zu weiden.
Mit einem kleinen Beispiel gibt Usman Shehu uns einen ersten Eindruck, was die Probleme der Fulani sind. In dem Dorf aus dem er stammt gehört das gesamte Weideland mittlerweile lokal ansässigen Farmer:Innen. Im Gegensatz zu früher ist die verfügbare Weidefläche infolge der Klimakatastrophe um 70% geschrumpft und fast alle Fulani-Familien besitzen Vieh jedoch kein Land um es zu weiden. Das führt zu immer häufiger zu gewaltsamen Konflikten zwischen Nomad:Innen und Farmer:Innen die vor einigen Wochen alleine neun Menschen das Leben kosteten.
Verlust der Lebensgrundlage
Der Tschadsee auf dem Gebiet der Staaten Nigeria, Tschad, Kamerun und Niger, der ca. 30 Millionen Menschen Heimat und Einkommen durch Fischfang, Ackerbau und Viehzucht bot, hat inzwischen drei Viertel seiner Fläche verloren. Der Konflikt um die Weideflächen wird von den lokalen Regierungen auch noch dadurch befeuert, dass sie bislang von den Fulani genutzte Buschflächen an die lokal ansässigen Farmer:Innen verkauft, was außerdem oft unter zweifelhaften Bedingungen geschieht. Die für die Nomad:Innen verfügbaren Weideflächen schrumpfen immer mehr und inzwischen haben sie immer größere Schwierigkeiten überhaupt noch freie Routen zu finden entlang derer sie ihr Vieh in Abhängigkeit von den Jahreszeiten weiden können.
Wie steht es generell um den Klima- und Umweltschutz in Nigeria?
Obwohl Nigeria eine der reichsten Volkswirtschaften Afrikas ist, wird wenig unternommen um die Bevölkerung in Sachen Umweltthemen zu informieren, weiterzubilden oder zu unterstützen. Die wenigen Delegiert:Innen, die z.B. Nigeria zu internationalen Klimakonferenzen entsendet werden von der UN bezahlt, weil die nigerianische Regierung Umweltthemen kein großes Gewicht einräumt. Auch weiß die Bevölkerung in weiten Teilen zu wenig über die Klimakatastrophe, was ihre Folgen sind und welche Effekte sie verstärken. So werden in ländlichen Gebieten gesunde Bäume gefällt um Feuerholz zur Essenszubereitung zu gewinnen, ohne als Ersatz neue Bäume zu pflanzen – ein Vorgehen welches natürlich die Versteppung und Zerstörung nutzbarer Landflächen forciert.
Viele Menschen kennen die größeren Zusammenhänge nicht und wissen auch nicht Bescheid welche Rechte sie eigentlich haben. Da sie ihre Rechte nicht kennen, können sie auch nicht dafür kämpfen, und den wenigen die die Zusammenhänge durchblicken und dennoch den Kampf aufnehmen droht Gefahr an Leib und Leben durch Repressionen der Regierung.
Die Lösung liegt bei der Politik
Um die Konflikte zwischen Farmer:Innen und Nomad:Innen wieder zu befrieden bedarf es der Vermittlung durch Verwaltung und Regierung. Es müssen praktikable Lösungen geschaffen werden, so wie es dem zuständigen Minister der Republik Niger gelungen ist durch einfache Regelung der Nutzungszeiträume Rechtssicherheit zwischen Farmer:Innen und Nomad:Innen zu schaffen.
Usman Shehus Message an die Besucher:Innen der Klimawache ist, dass mehr Bewusstsein und Achtsamkeit für Umweltthemen geschaffen werden muss. Vor allem Konzerne aus den entwickelten Ländern siedeln Produktionsstätten in Entwicklungsländern an, beuten dort Resourcen aus die der Bevölkerung entzogen werden und hinterlassen häufig verheerende Umweltschäden. Wir können dies oft recht einfach durch unsere Kaufentscheidungen beeinflussen.
Was tut sich in Bonn?
Wir haben außerdem verschiedene Bonner Initiativen die sich mit dem Schicksal von Geflüchteten befassen gebeten sich und ihre Arbeit kurz vorzustellen.
Die Seebrücke ist 2018 als Folge der Blockade von Schiffen zur Flüchtlingsrettung auf dem Mittelmeer entstanden. Die Hauptarbeit der Bonner Lokalgruppe besteht aus Demonstrationen, Mahnwachen und Vorträgen. Es gibt allerdings auch politische Aktivitäten auf lokaler Ebene: Bonn ist als Stadt dem Bündnis „Sicherer Hafen“ beigetreten. Die Seebrücke fordert ein dass die konkrete Umsetzung des Stadtratsbeschlusses Flüchtlinge über die offiziellen Verteilungschlüssel hinaus aufzunehmen auch erfolgt. Wer genaueres wissen möchte kann dies jeden Mittwoch um 18:00 anläßlich der Mahnwache der Seebrücke auf dem Marktplatz unter dem Motto „Unser Europa rettet – leave no one behind!“ tun.
Ihr findet die Seebrücke Bonn im Netz bei facebook, Instagram und Twitter
Seit 2016 existiert das ZeSaBo (Zentrallager Sachspenden Bonn) e.V. als logistische Lösung für die zentrale Annahme von Sachspenden und deren dezentrale Verteilung über die Kleiderkammern. Im Jahr 2017 konnten 80% der Bedarfe aller Bonner Flüchtlingsunterkünfte aus der ZeSaBo bedient werden ohne die Lagervorräte zu erschöpfen. Das Angebot wurde in Absprache mit der Stadt Bonn ab 2017 ausgeweitet auf alle bedürftigen Menschen und ist seitdem Anlaufpunkt für alle Organisationen, die sich um Bedürftige kümmern. 250 reg. Abnehmer kümmern sich, nach eigenem Bekunden, derzeit um rund 10.000 hilfsbedürftige Bonner:Innen.
Mehr Infos gibt es auf der Website der ZeSaBo
Nach der Klimawache ist vor der Klimawache
Das war eine der längsten Klimawachen der letzten Zeit, was zum Teil den Übersetzungen geschuldet ist, da unsere beiden ersten Gäste in englischer Sprache interviewt wurden, was von Nina und Aaron für unsere nicht englischsprechenden Besucher:Innen natürlich kurz übersetzt werden musste. Aber es war auch ein sehr interessantes Thema und zudem aus einer für uns völlig ungewohnten Perspektive erzählt. Unser großer Dank an dieser Stelle noch einmal an unsere Gäste.
Unsere nächste Klimawache findet am 18. August auf dem Münsterplatz statt. Genaueres werden wir wie gewohnt ankündigen.
Passt auf Euch auf und bleibt gesund, damit wir uns alle im August wiedersehen können!